Start-up-Tipps von einem Business-Kenner: Der erfahrene Internet-Unternehmer Stephan Schubert spricht im Interview mit firma.de Klartext zu den großen Themen, die Gründer bewegen – vom Ausfeilen der Geschäftsidee über kostenarme Finanzierungsmodelle und den idealen Exit bis hin zur Frage, ob Geld als Hauptmotivation tatsächlich ausreicht.
Der erfahrene Entrepreneur Stephan Schubert hat während seiner Laufbahn zahlreiche Gründungen begleitet und durfte schon alle Business-Fallen miterleben – vom raketenhaften Aufstieg bis hin zum tragischen Unternehmensabsturz. firma.de traf den Start-up-Experten zum Interview und hat nachgefragt, was er jungen Start-ups mit auf den Weg geben kann.
Herr Schubert, Sie haben in Ihrer Laufbahn schon unzählige Gründungen miterlebt und können Neulinge vor verheerenden Fehlern bewahren: Wenn ich also eine Geschäftsidee habe, wie gehe ich dann am besten vor? Was wären für Sie die ersten Schritte?
Stephan Schubert: Zunächst würde ich die Geschäftsidee „challengen, d. h. sich die Fragen stellen: Kann das wirklich funktionieren? Ist ein Bedarf für mein Produkt da? Wie groß ist der Markt? Auch den Bierdeckeltest finde ich anfangs immer hilfreich, indem man ganz nüchtern und einfach nachrechnet: Kann ich damit mehr Umsatz erzeugen, als ich Kosten produziere? Und fragen Sie sich einmal völlig unabhängig davon, wie groß der Markt ist und wie viele Kunden das eigentlich haben wollen: Kann ich mit dem einzelnen Kunden Geld verdienen? Ich glaube das sind die wesentlichen Aspekte, die anfangs abzuklopfen sind. Man sieht heute im Internet relativ viele Geschäftsmodelle, die so margenschwach sind, dass man als Start-up unglaublich groß werden muss, damit diese schwachen Margen das Geschäft finanzieren. Solche Modelle würde ich sehr kritisch hinterfragen. Und dann muss man für sich entscheiden, ob man das will und sich das von der finanziellen Seite her zutraut.
Was halten Sie grundsätzlich von Marktanalysen in der Anfangsphase? Wieviel Zeit sollte man sich dafür nehmen? Sollte man viel Geld investieren?
Stephan Schubert: Ich glaube, man muss das machen. Geld würde ich jedoch nicht investieren, also ich würde keinen Dienstleister damit beauftragen. Ich würde versuchen, selbst zu schauen, wer etwas Ähnliches anbietet, diese Anbieter dann selbst als potentieller Konsument testen und schauen, wie das Geschäftsmodell bei denen funktioniert. Wie machen die das? Ist das etwas, was ich auch machen kann und will? Machen die etwas anders oder schlechter, so dass ich mich vielleicht besser darstellen kann als die das im Moment tun? Es ergibt eine ganze Menge Sinn, sich solche Dinge genau anzuschauen. Wenn Sie eine echte Innovation haben, gibt es natürlich keine Wettbewerber, die Sie sich anschauen können. In einem solchen Fall sage ich den Teams immer: Wenn ihr das Gefühl habt, der Markt passt, ihr ein Produkt habt und die Idee da ist, würde ich mit möglichst kleinem Aufwand starten. Einfach reinspringen und mal schauen, ob die Idee gut ist oder sich am Ende als Schnapsidee entpuppt. Gibt es überhaupt Kunden da draußen, die das auch gut finden oder bin ich total auf dem Holzweg? Dazu muss ich nicht unbedingt gleich eine große Firma gründen und 5 Millionen Euro bereithalten, sondern kann auch ganz klein auf der Grasnarbe anfangen und einfach mal ein paar Dinge testen. Man muss weder für die Marktanalyse noch für das Minimal Viable Product, also diesen ersten Test, wahnsinnig viel Geld ausgeben. Es hilft auch enorm, wenn man mit Investoren darüber redet, nachdem man sich das genau angesehen hat, denn die wollen das auf jeden Fall genau wissen und stellen weitere Fragen, die einen weiterbringen.
Stichwort Investoren: Viele Start-ups haben ja große Schwierigkeiten mit der Finanzierung. Hätten Sie hier vielleicht Tipps, in welchen Fällen Sie zu einem Lean-Start-up raten würden oder welche Finanzierungsmethoden sonst praktikabel sind?
Stephan Schubert: Also ich würde grundsätzlich immer zuerst zu einem Lean-Start-up raten, denn gerade am Anfang ist es besonders wichtig, dass man möglichst wenig Kosten produziert. Nach meiner Beobachtung nehmen viele Start-ups zu schnell zu viel Geld auf, weil sie meinen, man brauche unbedingt Geld und es müsse alles ganz schnell gehen. Das ist jedoch nicht die ganze Wahrheit: Wenn ich zur richtigen Zeit die richtige Idee habe und keine 20 Wettbewerber hinter mir, kann ich sowas auch langsamer entwickeln. Ich würde erst dann versuchen, Geld aufzunehmen, wenn ich weiß, wie mein Business funktioniert bzw. wenn ich die Metriken verstanden habe. Konkret heißt das in etwa: Wenn ich zum Beispiel 10 € in Marketing stecke, kommen 20 € an Umsatz raus und wenn ich 100.000 € reinstecke, kommen 200.000 € dabei heraus. Am Anfang sollte man das mit wenig Geld ausprobieren und verstehen lernen, ob und wie das Produkt überhaupt funktionieren kann und wie man es an den Markt bringt. Es gibt hierfür zwei Wege: Entweder kriege ich das aus eigenen Mitteln finanziert und wähle den unternehmerischen Weg. Diese Variante würde ich immer bevorzugen, wenn meine Marktlücke das zulässt und ich beispielsweise keine großen Investitionen brauche oder wenn das Ganze nicht schnell gehen muss, weil mir Wettbewerber im Nacken sitzen. Wenn ich jedoch sehe, dass ich etwas richtig groß machen kann und möglichst schnell besonders viel investieren muss, würde ich mit dem Proof of Concept Investoren suchen. Dabei gilt es, Augenmaß zu bewahren. Es müssen nicht unbedingt gleich eine Million oder fünf Millionen Euro sein. Ein anderer wichtiger Punkt ist: Sie sollten von Anfang an die Kosten niedrig halten, vor allem was die eigenen Kosten angeht. Das schicke Büro, das teure Gehalt, den Firmenwagen und ähnliches würde ich alles erstmal bleiben lassen, denn es gibt keine teureren Finanzierungsrunden, als wenn sie solche Dinge finanzieren müssen.
In einem Ihrer Vorträge haben Sie davon gesprochen, dass es essentiell für Start-ups ist, sich ein gutes Team auszuwählen und dass man sehr gut auf die Qualitäten der einzelnen Teamplayer achten sollte. Ein Statement von Ihnen war beispielsweise Die besten Co-Founder sind nicht notwendigerweise deine besten Freunde.“ Eine Erkenntnis, die selten ausgesprochen wird.
Stephan Schubert: Ja, die besten Co-Gründer sind tatsächlich nicht unbedingt die besten Freunde, es ist auch nicht die Ehefrau und schon gar nicht die Ex-Freundin. Ich glaube, eine gewisse emotionale Distanz zu seinen Co-Gründern ist meist hilfreich. Man sollte sich natürlich schon gut verstehen, aber es muss nicht der allerbeste Freund sein. Ich habe eigentlich immer erlebt, dass eine gewisse Distanz von Vorteil ist. Dann ist es auch wichtig, dass es komplementäre Fähigkeiten im Team gibt. Wenn ich drei Leute in einem Gründerteam habe, die alle sensationelle Verkäufer sind oder hervorragende Marketing-Leute, aber keiner kann mit Zahlen umgehen, habe ich Chaos. Und wenn ich drei Leute habe, die alle gut mit Zahlen und Excel können, aber nicht verkaufen, habe ich das beste Controlling aber leider keinen Umsatz. Ich muss hier also genau schauen, dass alles zusammenpasst und die Fähigkeiten, die ich brauche – meist etwas Kaufmännisches und etwas in der Richtung Marketing/Vertrieb – im Team vertreten sind. Dann muss man darauf achten, dass alle Gründer die gleichen Ziele verfolgen. Damit meine ich vor allem auch die eigenen Lebensziele. Wenn der eine gerade 35 ist, ein Haus gebaut hat und das zweite Kind unterwegs ist und der andere ist 24, kurz nach dem Studium und möchte jede Nacht bis 3 Uhr arbeiten, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese beiden Lebensmodelle irgendwann nicht mehr kompatibel sind. Oder dass der eine sagt „ich brauch jetzt aber Geld“ und der andere „Ne, ist mir alles egal, ich will hier noch fünf Jahre Gas geben“. Mit Zielen meine ich auch konkrete unternehmerische Ziele: Wo will ich eigentlich hin? Will ich ein kleines Unternehmen aufbauen, das ich ein Leben lang führe? Will ich etwas aufbauen, was an die Börse soll? Die Antworten auf diese Fragen sollten kongruent sein, ansonsten brechen solche Teams irgendwann auseinander.
Werden nach Ihrer Erfahrung häufig zu utopische Ziele gesetzt?
Stephan Schubert: Ja, das ist tatsächlich so. Unter Umständen ist das gar nicht so schlimm, wenn man die Fähigkeit besitzt, nicht abzuheben, sondern auf dem Teppich zu bleiben und seine Ziele unterwegs der Realität anzupassen. Häufig habe ich schon nach einem Jahr erlebt, das es heißt: Puh, das ist ja richtig anstrengend, hier reich zu werden, so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Dann zieht einer plötzlich die Reißleine und nimmt einen Job bei einer Beratung an, mit dem er 100.000 € verdient. Das ist natürlich fatal. Hier steckt auch die Frage dahinter, warum ich eigentlich gründe? Will ich etwas aufbauen? Habe ich den nötigen Enthusiasmus? Will ich die Freiheit haben, selbst etwas zu bewegen? Oder geht es nur darum, sagen zu können, dass man gegründet hat und damit in kurzer Zeit reich geworden ist? Letzteres geht meistens schief.
Das heißt, die Motivation eines Gründers sollte weniger sein, mit seiner Idee Geld zu verdienen, sondern eher, unternehmerische Ziele zu verfolgen?
Stephan Schubert: Ja, das würde ich absolut so sehen. Es muss schon eine Passion für Unternehmertum da sein, glaube ich. Wem es nur um Geld geht, wird voraussichtlich scheitern. Es ist überhaupt nicht fatal, wenn man mit seiner Idee auch reich werden will, aber wenn das die einzige Motivation ist, habe ich immer wieder erlebt, dass Gründer unterwegs sagen: Stephan, das dauert mir alles zu lange hier. Ich geh zu einem anderen Start-up, da funktioniert es viel leichter und schneller. Und das ist natürlich für den Investor eine Katastrophe, weil der Investor in erster Linie in das Team investiert und nur an zweiter Stelle in die Geschäftsidee. Das passiert leider gar nicht so selten.
Können Sie unseren Gründern auch ein paar Tipps zum Thema Exit mit auf den Weg geben?
Stephan Schubert: Zunächst muss man sich darüber im Klaren sein, wann der richtige Zeitpunkt für ein Exit gekommen ist. Hier gibt es in der Praxis sehr oft Fehleinschätzungen. Ich bedaure es ja immer am meisten, wenn zu früh verkauft wird. Man muss sich vor Augen führen, dass auch der Exit an sich einen Wert hat. Es ist deutlich leichter, aus einem Unternehmen, das 10 Millionen € Wert ist, eines zu machen, das 20 Millionen € Wert ist, als ein neues Unternehmen zu gründen, das wieder 10 Millionen € Wert sein wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass mir das erste gelingt, ist einfach sehr viel höher. Ich erlebe auch immer wieder, dass Gründer ihre eigene Position total überschätzen und gar nicht verstehen, dass sie längst auf einem lahmen Gaul sitzen und das Geschäftsmodell einfach nicht funktioniert. In einem solchen Fall ist ein sogenannter Firesale manchmal viel sinnvoller, als es weiter durchzuziehen, irgendwann die Finanzierungsrunden nicht mehr zu schaffen und den Karren schließlich an die Wand zu fahren. Dieses Gefühl für das richtige Timing haben ganz viele Gründer nicht. Dann zielen viele Gründer beim Exit auf total falsche Parameter ab. Ganz oft geht es zum Beispiel darum, einen möglichst hohen Exit-Preis zu erzielen. Ich habe einmal Gründer erlebt, die hatten die Chance auf 95 Millionen € für ihr Unternehmen, die wollten aber unbedingt 100 Millionen haben. Der Käufer ist dann abgesprungen und das Unternehmen war zwei Jahre später pleite. Oder es werden unzählige Finanzierungsrunden gemacht und man baut ein Unternehmen im Wert von 100 Millionen Euro auf, die Gründer besitzen davon aber nur noch 1 %. Es ist zwar toll, wenn man ein so großes Unternehmen aufgebaut hat, aber wenn man selbst dann nur mit einem vergleichsweise geringen Anteil nach Hause geht, ist das schade. Es ist in vielen Fällen einfach sinnvoller, alles etwas defensiver anzugehen, also vielleicht „nur“ 50 Millionen als Exit-Preis zu bekommen, selber aber noch 10 % der Anteile zu besitzen. Dieses Szenario wäre für die Gründer deutlich attraktiver. Gier oder die Außenwahrnehmung hat hier oft eine viel zu hohe Priorität und die Gründer überlegen nicht, um was es eigentlich geht. Für die Investoren ist das manchmal gar nicht so schlecht, aber aus Gründersicht wird nicht selten Geld verschenkt. Hier haben viele Gründer eine falsche Denkweise.
Wie kann ein Gründer herausfinden, ob er eine realistische Sicht auf sein eigenes Unternehmen hat? Haben Sie da einen Tipp?
Stephan Schubert: Schwierig. Der beste Tipp ist hier vermutlich, einen guten Business Angel mit Erfahrung an der Seite zu haben, der schon lange im Geschäft ist, und ihm oder ihr gut zuzuhören. Solche Dinge sind am Ende nicht unbedingt in der BWA abzulesen, es geht hier eher um Ihr Gefühl, was aus der Nummer noch werden kann. Solange ich ein Unternehmen habe, das jedes Jahr noch 30 % wächst und wir uns alle einig sind, dass es so weitergehen kann, ist es wahrscheinlich falsch, zu verkaufen. Wenn ein Unternehmen drei Jahre infolge seinen Profit verdoppelt hat, es aber absehbar ist, dass bald eine Grenze erreicht sein wird, dies weiterhin aus eigener Kraft zu schaffen, ist vermutlich ein sehr guter Zeitpunkt, um an einen Strategen zu verkaufen, der neue Wachstumsimpulse setzen kann. Wenn ich seit zwei Jahren eine immer höhere Sales-Pipeline habe und Probleme, Aufträge zu kriegen, mich nur von Finanzierungsrunde zu Finanzierungsrunde hangele und immer hoffe, dass gerade jetzt der Knoten bei den Kunden platzt, riskiere ich, dass mein Unternehmen bald gar nichts mehr Wert ist. Und wenn dann ein Stratege kommt und mir meinen Einsatz wiedergeben will, ich aber ablehne, habe ich oft Teams gesehen, die sich verzocken. Ich glaube dieses Problem ist fast nur lösbar mit einem Blick von außen, von jemandem, der nüchtern und mit mehr emotionaler Distanz auf das Unternehmen blickt. Ich lade in solchen Situationen dann gern die Gründer zu einem Abendessen ein und versuche, die Situation ganz offen in einer Atmosphäre außerhalb des Büroalltags zu diskutieren. Dann hört man sich alle Argumente an und trifft hoffentlich die richtige Entscheidung. Dieser Punkt ist generell eine der schwierigsten Herausforderungen im ganzen Start-up-Prozess: Sie stehen im Wald und müssen herausfinden, wie grün der Wald eigentlich ist.