Rügepflicht nach HGB: Grundsätzliches
Im Geschäftsverkehr müssen Kaufleute spezielle Pflichten beachten. Dazu zählt die sogenannte Rügepflicht, die im HGB festgelegt ist (vgl. § 377). Bestellt ein Kaufmann bzw. eine Kauffrau Waren bei einem anderen Händler oder Hersteller, um sie weiterzuverarbeiten oder weiterzuverkaufen, tritt die unverzügliche Untersuchungs- und Rügepflicht ein.
Nur bei einem beiderseitigen Handelsgeschäft (einem Handelsgeschäft zwischen zwei Kaufleuten gemäß § 1 Abs. 1 HGB) muss § 377 HGB beachtet werden. Das Wort „Handelsgeschäft” beschreibt im Sinne des § 343 HGB alle Geschäfte eines Kaufmanns oder einer Kauffrau, die zum Betrieb seines oder ihres Handelsgewerbes gehören. Im Zweifel gelten die von einer Kauffrau oder einem Kaufmann vorgenommenen Rechtsgeschäfte als zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehörig (§ 344 Abs. 1 HGB). Bei einem beiderseitigen Handelsgeschäft im Sinne des HGB müssen beide Vertragsseiten, also Käufer und Verkäufer, die Sorgfaltspflicht einhalten. Dabei spielt die Schnelligkeit weniger eine Rolle als die Voraussetzungen, die ein ordentlicher, durchschnittlicher Kaufmann bzw. Kauffrau in einer solchen Situation erfüllen muss.
In der Rügepflicht wird zwischen folgenden Arten an Mängeln unterschieden:
- „Offene” Mängel: Mängel, die auch ohne Untersuchung offensichtlich sind. Rügefrist: 1 bis 2 Tage ab Ablieferung
- Mängel, die erst im Rahmen einer gründlichen Untersuchung festgestellt werden können: Rügefrist: 1 bis 2 Tage nach Abschluss der Untersuchung
- „Verdeckte” Mängel: Mängel, die nicht bei einer fachmännisch und sorgfältig durchgeführten Untersuchung entdeckt werden konnten, aber später zu Tage treten. Oft werden diese Mängel auch als „versteckte” Mängel bezeichnet, was jedoch rechtlich inkorrekt ist. Denn dies suggeriert, dass der Lieferant die Mängel absichtlich versteckt hat. Rügefrist: 1 bis 2 Tage nach der Entdeckung
Die Rügefrist
Wenn Kaufleute (darunter GmbH, UG und AG) Waren geliefert bekommen, müssen sie diese unverzüglich untersuchen. „Unverzüglich” bedeutet konkret, dass innerhalb der festgelegten Rügefristen gehandelt wird. Stellen sie Mängel fest, müssen sie zügig und sorgfältig gerügt werden. Dabei gibt es keine feste Definition von „zügig”. Laut Bundesgerichtshof und den Instanzgerichten ist dies stets vom konkreten Einzelfall abhängig. Eine allgemein gültige höchstrichterliche Entscheidung zur Rügefrist ist also nicht zu erwarten. Ist beispielsweise ein aufwändiges chemisches Verfahren zur Untersuchung notwendig, muss eine großzügigere Frist angesetzt werden.
Sobald die Ware abgeliefert ist, beginnt die Rügefrist. Die Ware gilt dann als abgeliefert, wenn für den Käufer die tatsächliche Möglichkeit eintritt, die Ware zu untersuchen. Dann befindet sie sich im Machtbereich des Käufers. Dies ist auch dann der Fall, wenn sie auf dessen Anweisung direkt zum Endkunden geliefert wird. In einem solchen Fall muss der Käufer für die Untersuchung der Ware sorgen.
Die Rüge gilt dann als rechtzeitig festgestellt, wenn die Frist eingehalten wird. Zögert der Käufer bei der Rüge, gilt es als fahrlässiges Handeln. Wann die Rüge beim Verkäufer eintrifft, ist irrelevant, solange sie überhaupt eintrifft. So gilt die Rüge unter anderem als nicht erfolgt, wenn sie in Briefform verfasst wurde und der Brief verloren geht. Ein Sonderfall tritt bei verdeckten Mängeln auf: Wenn ein verdeckter Mangel nach der ursprünglichen Rügefrist auftritt, muss er dann gerügt werden, wenn die Gewährleistungsrechte zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt sind. Laut BGB/HGB muss ein verdeckter Mangel bei beweglichen Sachen innerhalb von 24 Monaten nach Ablieferung gerügt werden (vgl. § 438 BGB).
Versäumt der Käufer die ordnungsgemäße und rechtzeitige Mängelrüge, wenn der Mangel bei der Untersuchung erkennbar gewesen wäre, gehen die Gewährleistungsansprüche verloren und der gesamte Kaufpreis muss trotz der Mängel bezahlt werden. In diesem Fall gilt die Ware trotz Fehlern als mangelfrei und genehmigt. Das bedeutet auch, dass der Käufer weder Nachlieferung verlangen noch vom Vertrag zurücktreten kann. Außerdem geht der Anspruch auf Schadensersatz verloren.
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Die Untersuchungspflicht
Je nach Art und Menge der gelieferten Ware variiert der Umfang einer Untersuchung. Die Untersuchung muss fachgerecht, also nach dem branchenüblichen technischen Stand, ausgeführt werden. Demzufolge ist nicht die subjektive Auffassung des Auftraggebers entscheidend, sondern branchenübliche objektive Kriterien. Bei einer größeren Stückzahl genügen repräsentative Stichproben. Bei Maschinen müssen Testläufe erfolgen, bei denen unter ähnlichen Bedingungen wie bei einer serienmäßigen Produktion erste Teile hergestellt bzw. bearbeitet werden. Auch die Art der Ware und die Stückzahl müssen auf ihre Korrektheit geprüft werden.
Zwar muss die Ware nicht auf jeden möglichen Mangel untersucht werden, aber naheliegende, offensichtliche Mängel müssen festgestellt und dokumentiert werden. Wenn bei der ersten Stichprüfung ein Verdacht auf einen Mangel aufkommt, muss die Untersuchung intensiviert werden. Sind Sie sich nicht sicher, welche Kriterien Sie bei einer Überprüfung beachten müssen, erkundigen Sie sich bei der Industrie- und Handelskammer nach den Standards Ihrer Branche.
Wurde bei der Untersuchung ein Mangel festgestellt, muss der Käufer ihn beim Verkäufer sofort rügen. Gerade bei verderblicher Ware muss die Rüge besonders kurzfristig erfolgen. Treten mehrere Mängel auf, muss jeder einzelne Mangel für sich gerügt werden. Dafür ist keine bestimmte Form festgelegt, bereits eine mündliche Rüge ist rechtskräftig. Sinnvoller ist jedoch die Schriftform als Brief, Fax oder E-Mail, um in einem eventuellen späteren Rechtsstreit einen Nachweis zu haben. Am besten, Sie verschicken sowohl ein Fax als auch einen Brief.
Tipps und Hinweise zur Mängelanzeige
Wenn Sie eine Rüge verfassen, achten Sie darauf, die Mängel möglichst nachvollziehbar zu beschreiben. Ein bloßer Hinweis auf die Mangelhaftigkeit der Ware genügt nicht. Sie müssen jedoch nicht in alle Einzelheiten gehen oder sie fachlich absolut korrekt benennen. Außerdem ist es nicht notwendig, die Ursachen der Mängel ausfindig zu machen oder eine Fehleranalyse zu erstellen.
Ist der Verkäufer seiner Pflicht zur Nacherfüllung nachgegangen, aber die reparierte Ware weist immer noch Mängel auf, tritt für Sie wieder die Rügepflicht ein. Ein Fehlschlagen der Nachbesserung oder Ersatzlieferungen kann meistens nur nach erneuter Rüge festgestellt werden.
Sollte der Verkäufer einen Mangel arglistig in vollem Bewusstsein verschwiegen haben, entfällt die Untersuchungs- und Rügepflicht. In einem solchen Fall müssen Sie allerdings die Arglist des Verkäufers beweisen, was in manchen Fällen sehr schwierig ist.
Am besten, Sie bedenken bereits vor Vertragsabschluss, welche Folgen eine unterlassene Mängelrüge mit sich bringt. Hier stellen die besonderen Vereinbarungen vieler Kaufverträge und Allgemeinen Geschäftsbedingungen oft ein Hindernis dar. In manchen Fällen können Sie diese Vereinbarungen jedoch gewinnbringend für sich nutzen. So können Sie bei manchen Verkäufern beispielsweise eine verlängerte Rügefrist vereinbaren. Sie können in Individual- bzw. Einzelverträgen auch die Untersuchungs- und Rügepflicht ausschließen. Dazu können Sie unter anderem eine der folgenden Formulierungen in einen Einzelvertrag einbauen:
- „Der Verkäufer/Lieferant wird den Einwand der verspäteten Mängelrüge nicht erheben.”
- „Der Auftragnehmer verzichtet auf den Einwand der verspäteten Anzeige festgestellter Mängel.”
Die Gerichte stellen jedoch sehr hohe Anforderungen an das Vorliegen von Einzelverträgen. Bei Unklarheiten zur Untersuchungs- und Rügepflicht ist die Unterstützung eines Anwalts für Handelsrecht dringend zu empfehlen. Mit der umfangreichen juristischen Beratung eines Fachanwalts können Sie sichergehen, dass Sie rechtlich auf der sicheren Seite sind.